Theater auf 5 Kontinenten, ein Ehrendoktorat, die Orestie in Mossul: Das wird der Monat März!
Ein Ehrendoktorat in Schweden, eine Retrospektive in Brasilien, eine Welttour über 5 Kontinente, ein neues Buch und eine Neu-Inszenierung der „Orestie“ in der ehemaligen Hauptstadt des „Islamischen Staats“ im Nordirak: dieses Frühjahr ist das wohl verrückteste in der Geschichte des IIPM – International Institute of Political Murder seit seiner Gründung.
„Wer homophob ist, ist auch pädophil“: Umstrittene Retrospektive für Milo Rau in Brasilien
Im Februar war in Amsterdam eine umfassende Retrospektive der künstlerischen Arbeit von Milo Rau zu sehen, kommende Woche reist das Werk des Schweizer Theater- und Filmemachers nach Südamerika: Der Schweizer steht dieses Jahr zentral auf dem MITsp-Festival, dem größten Performance-Festival Brasiliens.
Rau, der für das kommende Jahr ein Projekt zusammen mit der brasilianischen Landlosenbewegung vorbereitet und spätestens seit seinem offenen Brief gegen Präsident Bolsonaro in Brasiliens Rechter umstritten ist, wird in São Paulo unter anderem Vertreter der Landlosenbewegung und den aufgrund einer Performance vom Tod bedrohten Künstler Wagner Schwartz treffen. Dass in São Paulo auch das Pädophilie-Stück „Five Easy Pieces“ und das Stück gegen Homophobie „Die Wiederholung“ zu sehen sein wird, sorgt bereits vorab für Debatten.
„Jeder kann seine eigene Meinung vertreten“, sagte Milo Rau einer portugiesisch-sprachigen Zeitung vergangene Woche, „aber lassen Sie mich eines festhalten: Pädophilie und Homophobie sind strukturell das gleiche, denn beide Haltungen beinhalten Gewalt.“ Die Rau-Retrospektive wird in São Paulo stattfinden, die geplante Übernahme der Stücke nach Rio de Janeiro wurde vor zwei Tagen überraschend abgesagt.
5 Kontinente in 4 Wochen: „Die Wiederholung“, „Five Easy Pieces“ und „Die 120 Tage von Sodom“ bereisen die Welt
Doch Brasilien ist nur eine Station auf der Welttour des IIPM. „Die Welt liegt Milo Rau zu Füssen“, titelte kürzlich die Zeitung De Standaard metaphorisch – allein im Monat März ist etwa die „Repräsentations-Trilogie“ des IIPM auf 5 Kontinenten zu sehen.
Während „Five Easy Pieces“ (2016) nach einer zweieinhalbjährigen Tour rund um den Globus in New York die lang erwartete Nordamerikapremiere feiert, reist die bereits für zahlreiche Preise nominierte und u. a. von der New York Times, Le Temps und Nachkritik.de zu den besten Inszenierungen des Jahres gewählte Stück „Die Wiederholung“ (2018) im kommenden Monat durch Australien, Südamerika und Taiwan, um im Anschluss seine Europa-Tour fortzusetzen.
„Die 120 Tage von Sodom“, für die Milo Rau 2017 mit dem Theater HORA zusammenarbeitete, indes kommt nach Holland und Spanien nun nach Portugal. Alle wichtigen Termine finden Sie hier oder hier.
„Alternative zum aktuellen System“: Ehrendoktorat für Milo Rau in Schweden
Wie die Lunds Universitet Malmö vergangene Woche bekannt gab, wird Milo Rau erster Ehrendoktor der Fakultät für bildende Kunst und Performance. Die Lunds Universität, die unter anderem Thomas Mann und Kofi Annan mit dem Ehrendoktor auszeichnete, begründet die Ernennung eines der „einflussreichsten und provokativsten Theater- und Filmregisseurs unserer Zeit“ wie folgt: „Raus Kunst beschränkt sich nicht auf Regie, sondern beinhaltet auch eine Weiterentwicklung der Sozialanalyse, der Interaktion mit dem Publikum und der Arbeit des Schauspielers. Als Autor und weltweit Vortragender analysiert Rau das Theater unter anderem mit den Mitteln der Soziologie und der Kulturtheorie. Als künstlerischer Leiter des NTGent hat er ein Manifest veröffentlicht, das die zukünftige Rolle der Institutionen in den Darstellenden Künsten umreißt und kollaboratives Arbeiten sowie die Inklusion neuer Stimmen als mögliche Alternative zum aktuellen System fordert.“
Der seit 15 Jahren als Poetikprofessor, Forscher, Workshop-Leiter und Vortragender an zahllosen Universitäten und Bildungsinstitutionen weltweit tätige Rau wird am 23. Mai in Malmö seine Antrittsvorlesung halten und am 24. Mai in der Kathedrale von Lund zum Doktor geehrt.
„Das geschichtliche Gefühl“: Neues Rau-Buch im Druck
„Ein Tschechowsches Porträt – technisch perfekt und unglaublich stark gespielt“, jubelte die niederländische Zeitung „Volkskrant“ anlässlich der Amsterdam-Gastspiele des Schaubühne-Dauerbrenners „Lenin“ (2017) vergangenen Monat, in dem Ursina Lardi den gleichnamigen Revolutionsführer spielt.
Wie auf der Bühne Geschichte lebendig wird, wie sich Recherche, Regie- und Schauspielkunst, Video und Performance zum Gesamtkunstwerk „Theater“ zusammenfinden: Davon handelt Milo Raus neues Buch „Das geschichtliche Gefühl“, das diesen Monat im Berliner Alexander Verlag erscheint. „Rau denkt die Konzepte von Mimesis und Immersion, Katharsis und Tragik nach der Postmoderne neu – im Dienst eines Theaters, das ‚utopische Identifikation’ und globale Solidarität einübt und ‚Institutionen der Zukunft’ etabliert“, schreibt der Herausgeber.
Erweitert wird das Buch, das auf Raus Saarbrückener Poetikdozentur basiert, von zwei Gesprächen mit Rolf Bossart und Harald Welzer sowie einem Essay von Johannes Birgfeld über „Raus Theater der Revolution“.
„Orest in Mossul“: Milo Rau inszeniert die Orestie im Nordirak
„Man kann sich auf der Ausbeutungspraxis ausruhen oder man kann ihr eine Praxis der Solidarität entgegen setzen. Warum können wir das Öl aus Mossul konsumieren, uns aber nicht für die Menschen dort, ihre Geschichten, ihre Kunst interessieren?“, fragt Milo Rau in einem Gespräch mit dem Dramaturgen Stefan Bläske zu „Orest in Mossul“ (Presseheft hier)
Die neue Inszenierung Raus, die mit einem gemischten Ensemble aus Irakern und Europäern in Mossul und Gent als Koproduktion des NTGent und des Schauspiel Bochum entsteht, wird am 17. April in Gent Premiere feiern. Darin hinterfragt Rau seine Praxis des „Globalen Realismus“ anhand der ältesten erhaltenen Tragödien-Trilogie, der „Orestie“ von Aischylos: Was bringt eine Zusammenarbeit über die Kontinente hinweg? Was kann eine Orestie in der erst kürzlich vom IS befreiten Stadt erzählen über die großen Themen der Tragödie: über Gewalt, Schuld, Verzeihen? Und was kann ein westliches Ensemble von der widerständigen Praxis irakischer Künstlerinnen und Künstler lernen, die trotz Todesstrafe fortfuhren, Musik, Photographie, Tanz und Theater zu zelebrieren?
„Unser „Orest in Mossul“ ist gewissermaßen der Versuch, eine Porzellanvase über ein Minenfeld zu tragen. Man muss extrem optimistisch sein, um das zu versuchen. Deshalb zählt für uns allein schon der Versuch“, so Rau über sein neuestes Projekt am NTGent. Mehr Informationen hier.