„Das Theater komplett neu denken“ – eine „Everywoman“, drei Kinofilme und eine Theaterenzyklopädie: Das wird unser Herbst 2020 sein!

„Milo Rau will das Theater komplett neu denken“, schrieb die Tageszeitung De Morgen, als der künstlerische Leiter des NTGent Anfang Juni das Programm für die Saison 2020/21 bekannt gab. „Stell alles in Frage“, heisst es in dem multimedialen Programm, in dem Rau und sein Team die vor zwei Jahren begonnene Neuerfindung des Stadttheaters auf eine ästhetisch komplett neue Stufe heben wollen, gemeinsam mit Künstler*innen wie Luanda Casella, Lara Staal, Luk Perceval, Monster Truck, Angelica Liddell, Mokhallad Rasem, Peeping Tom oder Picho Womba Konga – Eröffnung ist am 1. Oktober.

 

Bereits in 6 Wochen feiert ein Theatermonolog Premiere, den Rau aktuell mit der Schauspielerin Ursina Lardi erarbeitet. Anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Salzburger Festspiele befragen die Schaubühnen-Darstellerin Ursina Lardi und Rau, die bereits für „Mitleid“ (2016) und „Lenin“ (2017) zusammengearbeitet haben, den Hofmannsthal’schen Klassiker für heute: „Everywoman“ (Produktion Schaubühne Berlin / Salzburger Festspiele) ist eine Performance über das ganz normale Leben, die schreckliche Plötzlichkeit des Todes und die solidarische Kraft der Kunst – Premiere ist am 19. August in Salzburg, ab dem 15. Oktober in Berlin an der Schaubühne und ab 27. November am NTGent!

 

Ebenfalls in wenigen Wochen kommen gleich mehrere Filme von Milo Rau ins Kino. Die von der internationalen Presse genauso für ihre explizite Darstellung eines Familienselbstmords kritisierte wie als „seelenvolle Hymne aufs Leben“ (The Guardian) gefeierte und gleich von mehreren Kritiker-Jurys zu den Best-Of der vergangenen Saison gewählte Produktion „Familie“ wird zum Film und ist ab Anfang September in belgischen Kinos und ausgewählten Theatern zu sehen. Auch in der Endfertigung befindet sich Milo Raus Neuverfilmung des Neuen Testaments, welchen das IIPM gemeinsam mit seinen langjährigen Koproduzenten Fruitmarket GmbH und Langfilm Zürich seit vergangenem Jahr entwickelt: „Das Neue Evangelium“ – an der Seite von Maia Morgenstern, Enrique Irazoqui und Marcello Fonte ist darin der Aktivist Yvan Sagnet als erster schwarzer Jesus der europäischen Filmgeschichte zu sehen.

 

Doch damit nicht genug: Wie heute Donnerstag (09.07.2020) bekannt wurde, wird die bereits zum Berliner Theatertreffen nominierte Produktion „Orest in Mossul“ das niederländische Theaterfestival als eine der 9 besten Performances  des vergangenen Jahres eröffnen. „Es ist eine der vielleicht wichtigsten Produktionen von Milo Rau“, so die Jury, „genauso interessant wie herzzerreißend.“ Anlässlich der Eröffnung des Theaterfestivals wird zum ersten Mal ein Dokumentarfilm über die umstrittene Produktion zu sehen sein: „Orestes in Mosul – The Making Of“ (Regie: Daniel Demoustier), der anschließend ebenfalls in ausgewählten Kinos und Theatern gezeigt wird.

 

Auch die Proben zum abschließenden Teil von Raus Antiken-Trilogie „Antigone im Amazonas“ werden im Herbst wieder aufgenommen. Die Rede „Dieser Wahnsinn muss aufhören“, mit der die Antigone-Darstellerin Kay Sara die Wiener Festwochen und zugleich die Streaming-Reihe „School of Resistance“ im Mai eröffnet hatte, wurde bereits in über 10 Sprachen übersetzt und ging in den sozialen Netzwerken viral.

 

Ein Auszug aus Kay Saras Rede wird auch in dem vielleicht verrücktesten Gemeinschaftsprojekt des IIPM, des NTGent und des Berliner Verbrecher Verlags zu lesen sein: dem Buch „Why Theatre?“ (hg. von Kaatje de Geest, Carmen Hornbostel und Milo Rau), das 100 der einflussreichsten Künstler*innen und Intellektuellen der Welt genau diese Frage stellt. Eine Enzyklopädie zum Zustand des Theaters mit Beiträgen u. a. von Tania Bruguera, Nora Chipaumire, Chto Delat, Extinction Rebellion, Susanne Kennedy, Angélica Liddell, Édouard Louis, Rabih Mroué, Toshiki Okada, Alain Platel, René Pollesch, Tiago Rodrigues, Kirill Srebrennikov, Miet Warlop und vielen, vielen anderen.