„Das Neue Evangelium“: Milo Rau inszeniert die Passion Christi im heutigen Italien neu – und fordert die italienische Regierung heraus

„Milo Raus Kunst greift nach dem Leben, sie meint das Ganze“, schrieb kürzlich der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler auf Vatican News zum Projekt „Orestes in Mossul“, das Rau dieses Frühjahr in der ehemaligen Hauptstadt des Islamischen Staats auf die Bühne brachte. Nun wagen sich Rau und sein Team an einen anderen Gründungsmythos Europas: ans Neue Testament. In und um Matera, wo die umstrittenen Jesusfilme von Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson entstanden, verfilmt der „kontroverseste Regisseur der Welt“ (The Telegraph) ab Ende August die Passion Christi unter dem Titel „Das Neue Evangelium“ (Produktion: Fruitmarket Köln/Langfilm Zürich/SRF SSR/ARTE/ZDF) – mit einem Cast aus Flüchtlingen, Aktivisten und ehemaligen Schauspieler*innen der Filme von Pasolini und Gibson.

 

Mit dem Aktivisten und ehemaligen Plantagenarbeiter Yvan Sagnet wird zum ersten Mal in der Filmgeschichte ein schwarzer Jesus vor der Kamera stehen – an der Seite u. a. von Enrique Irazoqui (Pasolinis Jesus in „Vangelo Secondo Matteo“), Maia Morgenstern (Heilige Maria in Mel Gibsons „Passion Christi“), Marcello Fonte (Europäischer Filmpreis für „Dogman“) und zahllosen weiteren Darsteller*innen aus allen Milieus Italiens. In einer Reihe von öffentlichen Drehs in der Europäischen Kulturhauptstadt Matera wird Jesus noch einmal das Wort Gottes verkünden, verurteilt und gekreuzigt (28. September, 5./6. Oktober 2019) und schließlich in Rom, der Hauptstadt des katholischen Christentums und zugleich Sitz einer der ausländerfeindlichsten Regierungen Europas, auferstehen (10. Oktober 2019).

 

Parallel zum Filmdreh wird die humanistische Botschaft des Neuen Testaments ins Heute transformiert: Anfang September startet mit einem Marsch aus den süditalienischen Flüchtlingslagern die Kampagne „Rivolta della Dignità“ (Revolte der Würde), die faire Arbeits- und Lebensbedingungen für Flüchtlinge, globale Reisefreiheit und ein Bürgerrecht für alle fordert. „Es geht darum, Jesus vom Kopf auf die Füße zu stellen“, wie der Regisseur Milo Rau im Presseheft erklärt. Angeführt vom Jesus-Darsteller Yvan Sagnet kämpft die Kampagne für die Rechte der Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa kamen, um auf den Tomatenfeldern in Süditalien von der Mafia versklavt zu werden und in Ghettos unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben.

 

Aus Kampagne und Film entsteht so ein „Neues Evangelium“ fürs 21. Jahrhundert, ein Manifest der Solidarität mit den Ärmsten, eine Revolte für eine gerechtere, humanere Welt. „Wir wollen das Mafia-System auf diesen Plantagen zum Einsturz bringen. Und gleichzeitig drehen wir einen großen neuen Jesus-Film“, wie Milo Rau kürzlich dem „Freitag“-Herausgeber Jakob Augstein erzählte. Im Herz Europas, in der europäischen Kulturhauptstadt und in Rom selbst wird so die italienische Regierung und mit ihr die menschenunwürdige Flüchtlingspolitik der EU herausgefordert, unterstützt von Partnerorganisationen von Medico International bis Seawatch.

 

Interessiert? Oder wollen Sie gar Teil der Kampagne werden? Im Presseheft finden Sie alle Daten, Hintergründe und ein ausführliches Gespräch mit Yvan Sagnet und Milo Rau – der von seinen bisherigen Recherchen und Drehs unter anderem hier berichtet. Ab Kampagnenstart Ende August kann zudem auf der Homepage der „Rivolta della Dignità“ das von allen Partnerorganisationen und Unterstützern verabschiedete „Manifest der Würde“ unterschrieben, kommentiert und die jeweils anstehenden Events mitverfolgt werden. Oder wollen Sie sich bereits jetzt einbringen? Schreiben Sie uns eine Email unter vangelo@international-institute.de.

 

Für alle weiteren Termine des Herbstes und die laufende Sommer-Tour des IIPM/NTGent vom Festival d’Avignon übers Edinburgh Festival zur Aichi Triennale Japan, ans Tampere Festival Finnland oder das BITEF Festival Belgrad: siehe hier und hier.