„Hinreissende politische Psychoanalyse“ – Rückblick und Vorschau
Drei neue Grossprojekte lanciert das IIPM in der Saison 2014/15: THE CIVIL WARS, „Milo Raus bisher persönlichstes Theaterstück“ (Deutsche Welle), den Film DAS KONGO TRIBUNAL über den seit 20 Jahren andauernden Konflikt im Ostkongo und FUCK YOU, EUROPA!, den nach THE CIVIL WARS zweiten Teil der Europa-Trilogie. Damit schliessen Milo Rau und sein Team nahtlos an die mit 2 Kino- und Fernseh-Filmen, 5 Publikationen und 5 Theater- und Ausstellungspremieren dicht bepackte Spielzeit 2013/14 an.
Mit der Saison 2013/14 geht die bisher erfolgreichste Spielzeit des IIPM zu Ende: Die Hörspielfassung von HATE RADIO wurde mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet, der von der internationalen Presse gefeierte Kinofilm DIE MOSKAUER PROZESSE erhielt am 10. Festival des Deutschen Films eine Besondere Auszeichnung. Dazu kamen im vergangenen Frühjahr noch der Schweizer Theaterpreis (für die „ans Wesen des tragischen Theaters anknüpfende“ Arbeit des IIPM) und der renommierte Bigler-Preis.
Neben den weiterhin um die Welt tourenden Theater- und Film-Produktionen HATE RADIO und BREIVIKS ERKLÄRUNG („Das umstrittenste Theaterstück der Welt“ titelte die Kronenzeitung anlässlich der Wiener Aufführung im November 2013, „Eine Schande für alle Nationalisten“, meinte der belgische Rechtspopulist Filip de Winter anlässlich der belgischen Aufführungen einige Monate später) feierten diese Saison zwei neue Formate des IIPM Premiere: die Live-Talkshow DIE BERLINER GESPRÄCHE (“Ein vorbildliches Beispiel dafür, wie Debatten in Zukunft geführt werden könnten“ / 3Sat Kulturzeit) fand bisher 3 Mal an der Schweizerischen Botschaft Berlin statt. In der Schaubühne Berlin startete die ästhetisch-politische Gesprächsreihe WAS TUN?
Der gleichnamige polemische Essay WAS TUN? KRITIK DER POSTMODERNEN VERNUNFT wurde von den Feuilletons als rhetorisches und intellektuelles Kunstwerk bezeichnet und von der Berliner TAZ zum „Politischen Buch des Jahres 2013“ gekürt. Drei weitere Publikationen – HATE RADIO, DIE ZÜRCHER PROZESSE / DIE MOSKAUER PROZESSE und DIE ENTHÜLLUNG DES REALEN – dokumentierten die Arbeit des IIPM, wobei uns die Aufnahme des Bands HATE RADIO in die Publikationsreihe der „Bundeszentrale für politische Bildung“ besonders freut. Der gemeinsam mit dem Schweizer Fernsehen und 3Sat produzierte Fernsehfilm HATE RADIO hinwiederum gab Einblick in die Hintergründe der Inszenierung von Milo Rau und lief anlässlich des 20. Jahrestags des ruandischen Genozids über 10 Mal auf verschiedenen Fernsehkanälen. Filmisch alles überstrahlend war aber natürlich der deutsche Kino- und Festivalstart des „alles bisher Dagewesene sprengenden“ (Jurybegründung Festival des Deutschen Films) Dokumentarfilms DIE MOSKAUER PROZESSE im März – gefolgt von Sondervorführungen in Montréal und New York, die nächste Saison mit Aufführungen in St. Petersburg (Manifesta 10), Krakau, Ljubljana, Paris und einer Schweiztour fortgesetzt werden.
Eine ganze Reihe von Retrospektiven des theatralen und filmischen Werks des IIPM eröffnete im November 2013 die umfassende Ausstellung DIE ENTHÜLLUNG DES REALEN in den Berliner Sophiensaelen, die in der Fachpresse ein „schweres Theoriegefecht irgendwo zwischen Paulus und Lenin“ (nachtkritik.de) auslöste. IIPM-Reihen veranstaltete in der letzten Saison zudem die Beurschouwburg Brüssel und das TransAmériquesFestival in Kanada. Zum Abschluss schliesslich kam die Spielzeit 2013/14 mit den Brüsseler Voraufführungen der neuen IIPM-Produktion THE CIVIL WARS („Eine hinreissende politische Psychoanalyse“, urteilte Libération) im Rahmen der Europawahlen am Kunstenfestivaldesarts und der gemeinsam mit dem Künstlerduo Com&Com durchgeführten, gesamtschweizerischen Umfrage POINT DE SUISSE („Der Schweiz wird der Puls gefühlt“, so die NZZ).
Natürlich ist auch für die Saison 2014/15 das IIPM-Programm reichhaltig, international und intermedial. Dank der erneuerten 2jährigen Basisförderung durch den Berliner Senat wird auch 2014/15 Berlin einer der zentralen Produktionsstandorte des IIPM bleiben (weiterhin in Kooperation mit den Sophiensaelen und der Schaubühne am Lehniner Platz). Das Festival La Bâtie Genève wird kommenden Herbst Milo Rau als „invité d’honneur“ eine Retrospektive ausrichten, zudem stehen Kooperationen mit dem Residenztheater München und dem Théâtre Nanterre-Amandiers (Paris) an – sowie natürlich auch ein neues internationales Kinoprojekt: DAS KONGO TRIBUNAL, das in Koproduktion mit den Sophiensaelen Berlin, der Fruitmarket Kultur und Medien GmbH (Köln) und der Langfilm AG (Schweiz) entsteht.
1) THE CIVIL WARS / Theater / Premiere 27. August 2014 / Theater Spektakel Zürich:
Was führt junger Europäer in den Nahen Osten, um dort für die Errichtung eines Kalifats zu kämpfen? In was für Zeiten leben wir? Als Antwort darauf inszeniert Milo Rau mit „The Civil Wars“ eine Lecture Performance à 4 voix über die Prämissen von Revolte und politischem Engagement. In der anlässlich der Brüsseler Voraufführungen von der Presse als Meisterwerk gefeierten Inszenierung befragen die vier Schauspieler Karim Bel Kacem, Sara De Bosschere, Sébastien Foucault und Johan Leysen ihren eigenen, windungsreichen Biografien entlang die Conditio Humana in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
2) DAS KONGO TRIBUNAL / Theater & Film / Premiere Tribunal 13.-15 Februar 2015 / Sophiensaele Berlin:
Ausgelöst vom ruandischen Genozid 1994, hat der aufgrund der direkten oder indirekten Verwicklung aller Großmächte unserer Zeit auch als „Dritter Weltkrieg“ bezeichnete Kongo-Krieg bereits über 3 Millionen Tote gefordert. Viele Beobachter sehen in ihm nicht nur einen Kampf um die politische Vorherrschaft in Zentralafrika, sondern zugleich eine der entscheidenden wirtschaftlichen Verteilungsschlachten im Zeitalter der Globalisierung. Der Film „Das Kongo Tribunal“ durchleuchtet vor Ort im Ostkongo und im Rahmen eines dreitägigen Tribunals in Berlin (13.-15. Februar 2014) die Gründe und Hintergründe dieses seit bald 20 Jahren andauernden Kriegs. Internationaler Kinostart ist im Herbst 2015, der Film entsteht in Koproduktion mit der Fruitmarket Kultur und Medien GmbH (Deutschland) und der Langfilm AG (Schweiz).
3) FUCK YOU, EUROPA / Theater / Premiere 24. April 2015 / Residenztheater München
Europa, ein Zombie: Innerlich zerfressen von Separatismen, gegründet auf Abermillionen von Kriegstoten und belastet mit den Verbrechen von über 500 Jahren Kolonialismus und Weltmarktdiktatur, stolziert er weiterhin an der Seite seines grossen Bruders USA durch die Geschichte. „Fuck you, Europa!“ (AT) will eine innere Geschichte dieses untoten Kontinents erzählen, der gerade dabei ist, einmal mehr die Weltherrschaft an sich zu reissen: augehend von den Bombennächten des 2. Weltkriegs und der Bombardierung Belgrads 50 Jahre später, von Serbien bis in die Normandie, vom Dnepr bis zum Atlantikwall, von der Deutschen Wehrmacht bis zur NATO und von den Sturzkampfbombern bis zum wieder erwachten Kalten Krieg gegen Russland präsentiert „Fuck you, Euopa!“ einen Abend über die europäische Machtpolitik von Hitler über Milosevic bis Merkel. Die Arbeits-, aber auch die persönlichen biographischen Erfahrungen der beteiligten Schauspieler stehen dabei wie in „‚The Civil Wars“ im Zentrum, werden Anlass und Reservoir eines europäischen Austauschs der ehrlichsten Sorte und damit einer politischen Psychoanalyse des wohl in jeder Hinsicht dunkelsten Kontinents unseres Planeten.
„Fuck you, Europa“ ist der zweite Teil der „Europa-Trilogie“, die Rau mit „‚The Civil Wars“ begonnen und im Herbst 2015 mit „Die Geschichte des Maschinengewehrs“ an der Berliner Schaubühne abschliessen wird.